In vielen Zoohandlungen werden Meerschweinchen als ideale Tiere für Kinder verkauft. Auf den ersten Blick scheint das auch zu stimmen:
Sie sind klein (passen also in jedes noch so kleine Kinderzimmer), süß, in vielen Farben und Fellarten zu bekommen,
günstig in der Anschaffung und Haltung, sie kratzen und beißen nicht und machen keinen Krach (wenn man das Futtergeschrei mit einer Schale Körnerfutter abstellt).
Man KANN Kindern also Meerschweinchen kaufen und diese im Kinderzimmer halten.
Möchte man allerdings das Beste für Kind und Tier, so sollte man sich vorher überlegen, welche Wünsche beide Seiten haben. Wir können hier nur von den Wünschen von Meerschweinchen berichten, aber es kann sich ja jeder selbst überlegen, ob diese Bedürfnisse mit den Wünschen des Kindes übereinstimmen.Und da man einem Kind nicht die alleinige Verantwortung für die Tiere aufdrücken sollte, muss man sich natürlich auch selbst fragen, ob man diesen Ansprüchen gerecht werden kann und möchte.
Das mögen Meerschweinchen gar nicht:
Krach
Meerschweinchen haben ein sehr feines Gehör (erstaunlich, dass sie von ihrem eigenen Geschrei nicht taub werden) und reagieren auf laute Geräusche sehr schreckhaft. Umschütten von Legokisten ist für Meerschweinchen ein Grausen und lässt sie schnell schreckhaft und ängstlich werden.
Schnelle Bewegungen
Meerschweinchen sind Fluchttiere und daher ständig auf der Hut vor möglichen Fressfeinden. Auch Schweinchen die schon in der 1000. Generation in Mitteleuropa leben und schon gar nicht mehr wissen, wie man Peru schreibt, werden ihre Angst vor dem Anden-Kondor und ähnlichen Räubern nicht verlieren. Daher werden sie auch weiterhin zuverlässig bei schnellen Bewegungen oder dunklen Schatten so schnell wie möglich davonlaufen. Alle Erklärungen, dass man sich gerade nur ein Jacke übergezogen hat o.ä., nutzen nichts.
Angefasst werden
Meerschweinchen sind keine Kuscheltiere. Selbst untereinander sieht man nur selten Körperkontakt. Meerschweinchen kommunizieren über eine Vielzahl an unterschiedlichen Lauten. Körperkontakt ist eher die Ausnahme. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie auch vom Körperkontakt mit Menschen nicht begeistert sind. Zwar können sie
lernen, dass sie von der Hand nichts zu befürchten haben und ein
Leckerchen
bekommen, wenn sie sich streicheln lassen. Aber auch hier gilt: Schweinchen, die Körperkontakt suchen, sind eher die Ausnahme. Die meisten lassen es eher widerwillig zu und
Andi
demonstriert seinen Widerwillen immer sehr deutlich durch einen grimmigen Gesichtsausdruck!
Das Problem ist, dass die Körpersprache des Meerschweinchens häufig missverstanden wird. Ein Purren beim Streicheln (häufig, wenn man den Rücken berührt) bedeutet UNwohlsein - und nicht etwa wie das Schnurren bei einer Katze Wohlbefinden!
Meerschweinchen haben von Natur aus nicht sehr ausgereifte Mechanismen zur Abwehr von Feinden. Weglaufen ist die Nummer eins. Wurde ein Schwein dennoch vom Räuber gefasst, stellt es sich als letzte Rettung tot (in der Hoffnung, dass der Räuber sich nicht mit Aas abgibt). Diese
Angststarre
, in die manche Meerschweinchen verfallen, wenn man sie auf den Arm nimmt, wird leider häufig als Verschmustheit missverstanden. Oft genug werden vermeintlich "besonders zahme" Meerschweinchen lange auf dem Arm herumgetragen, während das Tier bereits mit dem Leben abgeschlossen hat.
Was Meerschweinchen unbedingt wollen:
Futter
Meerschweinchen wollen regelmäßig fressen. Nicht nur, weil sie immer hungrig sind, sondern auch, weil sie eine empfindliche
Verdauung
haben, die auf Unregelmäßigkeiten schnell mit Krankheit reagiert. Sie brauchen daher einen zuverlässigen Versorger, der sich um Wasser und
Futter
kümmert. Auch in den Wintermonaten, in denen frisches Gemüse teuer ist, ist das Meerschweinchen nicht bereit, auch nur einen Cent beizusteuern. Die maximale Gegenleistung, die man erwarten kann: sich streicheln lassen (WENN das Schweinchen Lust dazu hat), oder der Saubande beim Fressen zuschauen. Wer allerdings große Dankbarkeit für frischen Biofenchel für 4,99 erwartet, hat sich geschnitten...
Bewegung
Auch wenn Meerschweinchen auf den ersten Blick etwas pummelig aussehen und im Zoohandel Käfig mit einer Länge von 1 m verkauft werden - Meerschweinchen bewegen sich sehr gerne und laufen auch längere Strecken als 70cm (wenn man die Körperlänge von ca. 30cm von der Käfiglänge abgezogen hat). Sie brauchen daher ein möglichst großes
Gehege. Zu groß gibt es nicht. Zu klein allerdings schon: alles unter 1,60m.
Dieses Maß hat sich durch das Angebot gängiger Gitterkäfige verbreitet. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass ein 160 cm Käfig nur dann geeignet ist, wenn immer zusätzlicher Freilauf vor dem Käfig angeboten wird.
Da Meerschweinchen sich in einem kleinen Käfig nicht bewegen KÖNNEN, meinen viele, dass sie sich grundsätzlich nicht bewegen WOLLEN. Dass das falsch ist, sieht man sehr schnell, wenn man ihnen Auslauf gewährt.
Zeichen setzen
Meerschweinchen wollen immer klarstellen, dass ihnen alles gehört: Ihr Gehege, alles drumherum und die Zimmer wo sie
Auslauf
haben. Als Besitzzeichen verteilen sie Einstreuflocken, Pipi und hin und wieder auch mal ein Böhnchen überall dort wo sie hinkommen - und auf unerklärliche Weise auch dort, wo sie NICHT hinkommen. Mit Meerschweinchen in der Wohnung lässt es sich nicht vermeiden, dass sich überall mal Einstreuflöckchen finden.
Schwein sein
Meerschweinchen tragen nicht umsonst das Wort "Schwein" im Namen. Es liegt in ihrer Natur rumzusauen (auch die Böcke) und Dreck zu machen.
Saubermachen
ist dagegen nicht ihre Stärke. Wer sich Meerschweinchen anschafft muss sich also damit abfinden, das Gehege und Umgebung regelmäßig vom Schweinedreck zu befreien.
Gruppendynamik
Ein Schwein ist kein Schwein. Rumsauen, Dreck in der Wohnung verteilen, nach Futter schreien - gemeinsam können Schweine dies viel leichter erledigen. Und es macht in Gesellschaft auch gleich doppelt so viel Spaß.
Meerschweinchen legen Wert auf geschlossene Gesellschaft unter ihresgleichen. Kaninchen, Hamster und Co sehen vielleicht für die Schwiegermutter zum verwechseln ähnlich aus - Partner für Meerschweinchen sind es jedoch nicht.
Meerschweinchen sind Gruppentiere und zwei sind bekanntlich keine Gruppe, sondern ein Paar. (In welchem Laden kann man eine "Gruppe Schuhe" kaufen? Oder eine "Gruppe Socken"? Nirgends. Überall gibt es immer nur Paare - weil zwei ein Paar sind.) Immerhin hat irgendwann einmal jemand erkannt, dass Einzelhaltung für Meerschweinchen eine Qual ist und hat verbreitet, dass Meerschweinchen immer mindestens paarweise gehalten werden müssen. Dem können wir nicht ganz zustimmen: Meerschweinchen müssen nicht mindestens zu zweit, sondern mindestens zu dritt gehalten werden! Selbst das ist noch keine richtige Gruppe, kommt aber immerhin schon einmal in die richtige Richtung...
Private Krankenversicherung
Meerschweinchen wollen nicht zum Pöbel gehören. Das Beste ist für sie gerade gut genug. Daher geben sie sich auch nicht mit einer gesetzlichen Krankenversicherung ab (die aus diesem Grund auch gar nicht angeboten wird) sondern verlangen eine private Krankenversicherung mit Serviceleistungen beim
Tierarzt
ihres Vertrauens. Der (zugegeben sehr geringe) Anschaffungspreis wird üblicherweise bereits beim ersten Tierarztbesuch deutlich überschritten. Eine einfache Behandlung bei Blähungen beispielsweise schlägt mit den Medikamenten schnell mit 30 Euro zu Buche. Längere Behandlungen können auch schnell in den dreistelligen Bereich gehen. Will man ein krankes Schwein nicht vor sich hinvegetieren lassen, sollte man rechtzeitig den nötigen Not"groschen" beiseite legen. Dabei ist zu bedenken, dass die "private Schweine-Krankenversicherung eine ziemlich ungünstige Einzahler-Quote hat: auf einen einzigen Einzahler (Schweinehalter) kommen je nach Gruppengröße eine beträchtliche Anzahl "Versicherte" (Schweine).
Zur privaten Krankenversicherung gehört übrigens auch die häusliche Krankenpflege. Ein Schweichen, das über einige Wochen zugefüttert werden muss, nimmt schnell anderthalb Stunden täglich in Anspruch. Es versteht sich von selbst, dass das Schweinchen dafür keinen Pfennig zahlt.
Privatsphäre
Meerschweinchen verstecken sich gerne und suchen immer Unterschlupf. In unserem Gehege ist oft genug keines der Schweinchen zu entdecken, wenn man nicht genau hinschaut. Wenn man also zum Beispiel zwei Stunden geschuftet hat, um das
Schweineheim 2.0
sauberzumachen und sich anschließend mit ein bisschen Schweine-Beobachten belohnen will, kann es durchaus sein, dass einem nichts geboten wird, weil die Herrschaften sich nach dem ganzen Stress und der Anstrengung beim Saubermachen lieber zurückgezogen haben.
Individuelle Schlafrhythmen
Meerschweinchen sind grundsätzlich tagaktive Tiere. Ihre Aktivitäts- und Ruhephasen sind jedoch deutlich kürzer als beim Menschen. Sie schlafen auch tagsüber in ruhigen Stunden immer mal wieder und wuseln auch nachts herum, wenn ihnen danach ist oder der Sinn nach etwas Heu o.ä. steht. Auch Gesangsstunden mitten in der Nacht kommen vor. Wer morgens aufstehen muss, sollte sich daher gut überlegen, ob er mit Meerschweinchen in einem Zimmer schlafen möchte.
Nur machen wozu sie Lust haben
Meerschweinchen sind... tja, soll man es eigenwillig nennen? Fakt ist, sie tun nur das, wonach ihnen ist. Zwar kann man sie mit Futter locken, aber wenn sie keine Lust haben, lassen sie sich zu nichts überreden. Will man sich mit Meerschweinchen
beschäftigen, ist man also auf ihre Gnade angewiesen, dass sie auch mitmachen. Dressieren wie einen Hund kann man Meerschweinchen nicht. Es ist nicht so, dass sie nicht KÖNNEN. Sie WOLLEN einfach nicht ;o)
Urlaub auf Balkonien
Wie vielleicht aus dem vorangehenden Text ersichtlich, leben Meerschweinchen ihr ganzes Leben in urlaubs-ähnlichen Zuständen. Daher haben sie nahezu kein Interesse an Fernreisen. Wenn ihr Halter erschöpft von einem ganzen Jahr Schweine-Betreuung mal eine Woche Urlaub macht, möchten sie keine Einbußen ihres gewohnten Standards hinnehmen. Sie fordern daher eine fachkundige Vertretung - am liebsten im gewohnten Zuhause. Manch ein Schweinchenhalter muss sich allerdings darum gar keine Gedanken machen - da ihm die Schweine eh nicht frei geben.
Und warum das alles?
Bedenkt man all dies, kommt schon mal die Frage auf: Warum sollte man überhaupt Meerschweinchen halten?
Wer mutet sich das zu? Und warum???
Tja, dafür muss man sie schon ziemlich gern haben :-)
Wenn Du auch Meerschweinchen haben willst, ist eine Zoohandlung keine gute Idee. Meerschweinchen werden dort wie ein Produkt wie eine Kaffeemaschine oder ein Deospray angeboten und werden nur zum Geldverdienen angeboten. Es gibt viele Meerschweinchen, die schlecht gehalten werden und ein besseres Leben als neben der Legokiste unterm Kinderbett verdient haben.
Suchst du ein Meerschweinchen direkt in deiner Nähe? Statt eines im Laden zu kaufen oder hirnlose Hobbyvermehrer zu unterstützen, solltest du lieber nach einer Notstation Ausschau halten.
Die Seite Notstation.de kann dir bei der Suche nach einer passenden Notstation helfen.
Willst Du wissen, wie dieser Text entstanden ist?
In unseren fragwürdigen FAQs gibt es einen "Mitschnitt", wie für den Text "Ich will auch Meerschweinchen!" recherchiert wurde.
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