Grundstein
Juli 2016
Anfängerfehler
Jeder macht Fehler - aber es sollten nicht immer die gleichen sein
Aller Anfang ist schwer. Und Meerschweinchen sind seltsame Wesen, deren Eigenarten und Bedürfnisse man erst nach und nach kennenlernt und erst noch viel später verstehen lernt - zumindest ansatzweise. Daher ist der Einstieg in die Meerschweinchenhaltung gar nicht so einfach, wie manch einer glaubt.
Es gibt kaum brauchbare Bedienungsanleitungen für Meerschweinchen. Viele Bücher (auch neue) enthalten erschreckend veraltete oder schlichtweg falsche Informationen über Meerschweinchen und auch die Beratung in Zoogeschäften ist leider häufig unterirdisch. Daher kommt es immer wieder zu Missverständnissen und typischen Anfängerfehlern, die für die frisch gebackenen Meerschweinchenbetreuer unangenehm sind, für die neu eingezogenen Meerschweinchen aber häufig noch viel gravierender.
Damit nicht jeder Neuling in der Meerschweinchenbetreuung von Null anfangen und die selben Fehler alle am eigenen Leib (bzw. am pelzigen Leib der neuen Mitbewohner) erfahren muss, haben die Öttis eine Liste mit den häufigsten Anfängerfehlern in der Meerschweinchenhaltung zusammengestellt, sodass vielleicht mancher Fehler vermieden werden kann.
Auswahl der falschen Tierart / falsche Erwartungen
Meerschweinchen sind relativ scheue und empfindliche Tiere, die sich lieber beobachten als anfassen lassen
Der erste Fehler bei der Anschaffung von Meerschweinchen liegt häufig schon in der Wahl der falschen Tierart bzw. in falschen Erwartungen an Meerschweinchen. Einige Menschen sind sich gar nicht im Klaren darüber, was sie von Meerschweinchen erwarten können und welche Anforderungen Meerschweinchen an die Versorgung stellen.
Wer ein Tier zum Kuscheln sucht, ist mit Meerschweinchen schlecht beraten. Die meisten Meerschweinchen lernen es zwar irgendwann, Berührungen vom Menschen zu dulden, aber sie kuscheln definitiv nicht gerne. Meerschweinchen sind in der Regel lange Zeit scheu und vermeiden Berührung. Doch auch bei zahmen Meerschweinchen kann man nicht viel mehr Körperkontakt erwarten, als vorsichtiges Kraulen mit zwei bis drei Fingern. Wer ein Tier zum Durchkraulen und Schmusen haben möchte, ist mit einem Hund oder einer Katze sicherlich besser beraten.
Wer einen Spielpartner für ein Kind sucht, wird von Meerschweinchen vermutlich ebenso enttäuscht sein. Meerschweinchen sind von Natur aus eher scheu und ziehen sich bei grabschenden Kinderhänden in die hinterste Ecke zurück und lassen sich nicht mehr blicken. Kinder sind von diesem Verhalten meist schnell enttäuscht. Natürlich kann man ein Meerschweinchen mit viel Geduld und leckerem Futter locken und beschäftigen, aber Spiele, die Kindern Spaß machen, sind in der Regel nicht meerschweinchentauglich. Kinder, die keinen besonderen Draht zu den eher zurückhaltenden Meerschweinchen haben, verlieren schnell das Interesse an ihnen und wünschen sich lieber ein aktiveres, robusteres und zutraulicheres Haustier.
Menschen, die auf der Suche nach einem günstigen, pflegeleichten Haustier sind, dürften auf lange Sicht von Meerschweinchen ebenso wenig begeistert sein. Meerschweinchen sind vergleichsweise empfindlich und müssen daher gut beobachtet und immer mal wieder tierärztlich versorgt werden. Das Verdauungssystem von Meerschweinchen ist recht empfindlich und die Krankenversorgung kann sehr zeitaufwendig und kostenintensiv sein. Auch die anfallenden Kosten für Streu und die Entsorgung großer Müllmengen werden häufig unterschätzt. Schon drei Meerschweinchen, die das Minimum für eine Kleingruppe darstellen, können eine ganze Menge Arbeit, Müll und Kosten verursachen.
Wer eine muntere, kleine Pelzbande zum Beobachten zu schätzen weiß und sich damit zufrieden gibt, Reinigungskraft und Futterlieferant für die kleinen Herrschaften zu spielen, dürfte mit Meerschweinchen zufrieden sein. Alle anderen sollten dagegen überlegen, ob nicht eine andere Tierart besser zu den eigenen Wünschen passt.
Ausführliche Infos: Bedürfnisse von Meerschweinchen
Kauf im Zoogeschäft
Bei Notstationen und Züchtern bekommen Anfänger gut sozialisierte Meerschweinchen und Beratung - im Zoogeschäft ist beides Mangelware
Ist die Wahl auf Meerschweinchen gefallen, kaufen viele Anfänger die Tiere dort, wo sie sie als erstes sehen: Im Zoogeschäft. Das ist nicht empfehlenswert. Zum einen weiß man überhaupt nichts über die Herkunft der Tiere (Massenhaltungs-Tierfabriken? Genetische Erkrankungen? Charakter der Tiere?) und die Beratung in derartigen Geschäften ist erfahrungsgemäß leider meistens dürftig bis falsch. Eine höhere Chance auf gesunde, muntere Meerschweinchen gibt es bei einem verantwortungsvollen Züchter.
Gute Beratung erhält man auch in Notstationen oder Pflegestellen für Meerschweinchen. Dort besteht zudem für Anfänger der große Vorteil, dass Hilfestellung bei der Auswahl der passenden Tiere gegeben werden kann. Gute Notstationen können Neulinge zum Charakter der Tiere beraten und eine harmonische Gruppe zusammenstellen, sodass ein unerfahrener Halter nicht als erstes mit kämpfenden Meerschweinchen bei einer problematischen Vergesellschaftung konfrontiert wird. Außerdem sind Tiere von dort in der Regel medizinisch geprüft und zumindest augenscheinlich gesund (was in Zoogeschäften längst nicht immer der Fall ist).
Darüber hinaus werden Tiere aus einer Notstation in der Regel nur kastriert abgegeben oder aber in Gruppen abgegeben, die keinen Nachwuchs erwarten lassen. In Zoogeschäften sitzen dagegen oft genug sogar Männlein und Weiblein zusammen, sodass unerfahrene Meerschweinchenhalter dort unter Umständen ein trächtiges Weibchen bekommen und mit allen folgenden Kosten und Problemen allein gelassen werden.
Ausführliche Infos: Argumente gegen den Zooladen-Kauf (Partnerseite www.notstation.de)
Gitterkäfig
Gitterkäfige sind unnötig und viel zu klein
Wer Meerschweinchen im Zoogeschäft kauft, erhält vielleicht den Eindruck, dass ein Gitterkäfig ein normales Zuhause für Meerschweinchen sei. Dem ist nicht so. Meerschweinchen brauchen keine Gitterstäbe um sich herum, da sie keine Tendenz zum Wegfliegen aufweisen und sich auch gerne ihre Umgebung ungehindert anschauen. Daher ist es nicht notwendig oder zweckvoll, sie rundherum mit Gitterstäben einzugrenzen. Außerdem kann das Zweibein viel besser Kontakt zu den kleinen Plüschis aufnehmen, wenn keine störenden Gitterstäbe dazwischen sind.
Ein Meerschweinchengehege darf nach oben hin offen sein (sofern keine gefährlichen Raubtiere im selben Haushalt wohnen) und vor allen Dingen muss es flächentechnisch deutlich größer sein, als jeder im Handel erhältliche Gitterkäfig. Auch wenn Meerschweinchenbabys noch so winzig aussehen und ihr rundlicher Körperbau eine eher gemächliche Bewegungsweise vermuten lässt: Meerschweinchen sind sehr bewegungsfreudige Tiere. Für eine kleine, bewegungsfreudige Meerschweinchengruppe von drei Schweinchen sind zwei Quadratmeter das Minimum an Wohnfläche. Mehr ist in diesem Falle wirklich mehr. Erst wenn Meerschweinchen genügend Platz zur Verfügung haben, ihr Schweineverhalten im vollen Umfang auszuleben, sind sie interessant zu beobachten. Herumsitzende Schweine im Mini-Gitterknast sind langweilig fürs Zweibein und selbst zu Tode gelangweilt.
Ausführliche Infos:
Platzbedarf von Meerschweinchen
Struktur eines Meerschweinchengeheges
Bauanleitung für ein einfaches Meerschweinchengehege
Trockenfutter
Trockenfutter aus der Futtermittelindustrie ist unnötig und häufig ungesund
Die Werbung und der Zoohandel suggerieren einem, dass Meerschweinchen kleine gepresste Kugeln und Stäbchen in diversen Farben benötigen, um gesund und munter zu bleiben, dass Knabberstangen für den Zahnabrieb wichtig wären und dass diverse Drops und Co. lebenswichtige Vitamine enthalten. Das ist schlichtweg falsch. Meerschweinchen können vollkommen ohne Trockenfutter gesund und artgerecht ernährt werden.
Frische Gräser und Kräuter, Gemüse und Heu, Heu und nochmals Heu versorgen Meerschweinchen mit allem, was sie brauchen. Im Gegenteil: Trockenfutter ist häufig sogar sehr ungesund, da darin in vielen Fällen für Meerschweinchen unverträgliche Inhaltsstoffe (Getreide, Zucker, Farbstoffe, Ei, Honig, etc.) enthalten sind. Hin und wieder mal ein frischer Ast ist eine natürlichere, gesündere und mindestens genauso schmackhafte Knabbermöglichkeit wie eine Knabberstange aus dem Futterhandel.
Ausführliche Infos: Fütterung von Meerschweinchen
Abwechslungsreiche Fütterung
Meerschweinchen vertragen eine gleichbleibende Ernährung besser als einen ständigen Wechsel der Futtersorten
Viele Neulinge in der Meerschweinchenversorgung wollen nur das Beste für ihre kleinen Gourmets und wollen ihnen einen möglichst vielfältigen und abwechslungsreichen Speiseplan bieten. Jeden Tag werden andere Gemüsesorten angeboten und jede noch so exotische Frucht wird ausprobiert. Für Meerschweinchen, die über ein komplexes und empfindliches Verdauungssystem verfügen, ist dagegen eine regelmäßige und eher gleichförmige Ernährung besser geeignet.
Natürlich benötigen sie verschiedene Gemüsesorten, um mit allen notwendigen Vitaminen versorgt zu sein und sie freuen sich auch über eine gelegentliche Delikatesse. Aber grundsätzlich vertragen es die meisten Meerschweinchen besser, wenn täglich eine gleichbleibende Basis gefuttert wird (z.B. immer ein festes Angebot von vier bis fünf gut verträglichen Gemüsesorten), die nur um eine austauschbare Komponente ergänzt wird. So kann sich das Verdauungssystem auf stabile Bedingungen einstellen und zuverlässig arbeiten.
Zwei Jungtiere alleine
Bis zum Alter von 6 Monaten sind Meerschweinchen dringend auf einen erwachsenen Artgenossen angewiesen
Dass Einzelhaltung für Meerschweinchen der absolute Horror ist, hat sich mittlerweile zum Glück weit herumgesprochen. Dennoch wird von Anfängern in der Meerschweinchenhaltung ein Fehler bei der Gruppenzusammenstellung besonders häufig begangen: Sehr viele Neulinge starten mit zwei Meerschweinchen, die erst wenige Wochen alt sind.
Damit begeht man gleich zwei Fehler auf einmal: Zum einen sind zwei Meerschweinchen keine Gruppe, sondern nur ein Pärchen. Gruppendynamik mit dem vollen Verhaltensspektrum fängt bei Meerschweinchen erst in einer Kleingruppe mit mindestens drei oder vier Schweinchen an. Zum anderen ergeben sich langfristig große Probleme, wenn Jungtiere alleine ohne erwachsenen Artgenossen aufwachsen.
Es ist verständlich, dass man am liebsten die entzückenden Schweinebabys bei sich aufnehmen will. Für zwei Schweinebabys, die plötzlich (und häufig viel zu früh!) von den Elterntieren getrennt werden und sich ganz allein in einer fremden Umgebung wiederfinden, ist es allerdings ein echter Alptraum. Auch wenn Meerschweinchen schon mit wenigen Wochen komplett selbstständig erscheinen, sind sie es noch lange nicht. Die Anwesenheit erwachsener Meerschweinchen (die nicht zwingend die Elterntiere sein müssen) gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Und die Erwachsenen zeigen den kleinen Schweinchen in den ersten Lebensmonaten noch allerhand Lebenswichtiges: Was man fressen kann und was nicht, wie Meerschweinchen untereinander sprechen, streiten, sich vertragen.... Einfach alles, was zum richtigen Schwein-Sein dazu gehört.
Allein gehaltene Meerschweinchenbabys verpassen all diese wichtigen Lektionen, wenn sie ohne Vorbild aufwachsen müssen. Sie bleiben häufig lange Zeit ängstlich, fressen das Falsche oder stellen vor lauter Angst das Fressen ganz ein. Und sie lernen nie, was schweingerechtes Verhalten ist. Zwei Babys, die alleine zusammen aufwachsen, eigenen sich häufig eine "eigene" Methode der Verständigung untereinander an. Aber wenn sie später einmal in Kontakt mit anderen Meerschweinchen kommen, sind Probleme vorprogrammiert. Sie können sich dann mit ihren Artgenossen nicht richtig verständigen. Soll die Gruppe also später mal vergrößert werden oder braucht eins der Schweinchen mal einen neuen Partner, gibt es große Probleme bei der Vergesellschaftung.
Daher brauchen Meerschweinchenbabys immer in den ersten Lebensmonaten erwachsene Schweinevorbilder (am besten beide Geschlechter oder zumindest das eigene), um zu gut sozialisierten Meerschweinchen heranzuwachsen. Möchte man unbedingt Meerschweinchenbabys haben, so muss mindestens ein erwachsenes Schweinchen (am besten mindestens 12 Monate alt) als Erzieher die Gruppe ergänzen.
Ausführliche Infos:
Zusammenstellung einer Meerschweinchengruppe
Vergesellschaftung von Meerschweinchen
Unkontrolllierte Vermehrung von Meerschweinchen
Zwangskuscheln
Unfreiwillige Kuscheleinheiten sind für Meerschweinchen der reinste Stress
Natürlich freut sich jeder Mensch, wenn die Meerschweinchen zutraulich sind, freudig angelaufen kommen und sich bereitwillig kraulen lassen. Meerschweinchen sind jedoch von Natur aus Fluchttiere und daher (vor allem direkt nach dem Einzug in ein neues Zuhause) dementsprechend scheu und zurückhaltend. Sie düsen bei jeder Bewegung in ihre schützende Hütte und laufen vor der menschlichen Hand erst mal davon. Der Vertrauensaufbau dauert bei Meerschweinchen relativ lange. Bis sie sich angstfrei berühren lassen, vergehen Monate, in einigen Fällen auch Jahre und manche Meerschweinchen sind einfach gar keine Kuscheltypen und vermeiden Berührungen zeitlebens.
Um die Zähmung zu beschleunigen, begehen viele Meerschweinchenneulinge den Fehler, die Meerschweinchen mit Zwangskuscheln an die Berührung zu gewöhnen. Die Meerschweinchen werden gegen ihren Willen auf den Arm genommen und dort durchgekrault und beschmust. Natürlich machen Meerschweinchen auf diese Art und Weise die Erfahrung, dass sie diese Kuschelattacken überleben. Wahrschweinlich wird die Angst auf dem Arm nach vielen Wiederholungen tatsächlich langsam geringer. Trotzdem ist das Beschmustwerden auf dem Arm für Meerschweinchen eine unangenehme Erfahrung, die mit riesengroßer Angst verbunden ist.
Wenn sich ein Meerschweinchen auf dem Arm ganz flach macht (und vermeintlich "in den Arm kuschelt"), macht es dies aus einem natürlichen Schutzreflex. Hat ein Meerschweinchen in freier Wildbahn keine Versteckmöglichkeit, presst es sich platt auf den Boden, um vom Feind möglichst nicht entdeckt zu werden. Das Purren, das Meerschweinchen häufig beim Streicheln von sich geben, ist kein Anzeichen von Wohlbefinden, sondern ein Laut, der Unwohlsein anzeigt. Das Meerschweinchen macht diesen Laut, um sich in der Stresssituation selbst zu beruhigen.
Meerschweinchen sind Bodenbewohner und fühlen sich äußerst unwohl, wenn sie in luftiger Höhe herumgetragen und durchgeknetet werden. Körperkontakt (ob zu Artgenossen oder Menschen) wird von ihnen eher vermieden. Und die fehlende Möglichkeit zur Flucht, gibt dem Meerschweinchen auf dem Arm nervlich den Rest.
Stell dir vor, du hättest Höhenangst und würdest (wie wohl die meisten Menschen) nie im Leben einen Fallschirmsprung wagen. Aber du wirst gegen deinen Willen in ein Flugzeug verfrachtet, 10.000 Meter hochgeflogen und dann mit einem Fallschirm aus der Ladeluke des Flugzeugs geworfen - und das mehrfach die Woche. Vermutlich würde deine Todesangst nach mehreren Wiederholungen tatsächlich irgendwann nachlassen. Irgendwann würde dich der Abwurf aus dem Flugzeug weniger ängstigen. Aber schön ist diese Erfahrung trotzdem nicht. Und als "Vertrauensaufbau" kann man diese Methode erst recht nicht bezeichnen.
Da die Öttis nicht auf derartige "Schocktherapien" stehen, empfehlen sie allen Meerschweinchenneulingen (und den alten Hasen natürlich sowieso) lieber Geduld mit ängstlichen Meerschweinchen zu haben, ihnen Zeit zum Vertrauensaufbau zu geben und sich ihnen immer wieder vorsichtig mit leckeren Köstlichkeiten zu nähern. Dann bauen Meerschweinchen nach und nach auch echtes Vertrauen auf und überwinden ihre Angst immer nur soweit, wie sie sich in dem Moment trauen.
Ausführliche Infos: Sanfte Zähmung von Meerschweinchen
Weiterbildung für Schweineneulinge...