Der Wolf und die sieben Schweinlein
Es war einmal eine Schweinemutti, die hatte sieben kleine Schweinekinder. Sie lebten munter und vergnügt in ihrem Schweinebau.
Eines Tages wollte Mutter Schwein zum Markt gehen und frisches Gemüse kaufen. Also schnappte sie sich ihren kleinen Weidenkorb, knabberte schnell einen leckeren Weidenast davon ab und ging zur Tür. Zum Abschied kuschelte sie jedes der sieben Schweinekinder noch einmal fest an sich und strich ihnen die Barthaare glatt. Sie erinnerte ihre Kleinen: „Nehmt euch fein in acht. Draußen laufen viele wilde Kreaturen herum, die euch sehr gefährlich werden können. Lasst die Tür fest verschlossen und öffnet sie nicht, ehe ich wieder hier bin.“
Die kleinen Schweine versicherten ihrer Mutter, sehr vorsichtig zu sein und niemanden herein zu lassen. So ging Mama-Schwein in Richtung Markt und ließ ihre sieben Kinder alleine im Schweinebau zurück.
Die kunterbunte Rasselbande wuselte im gesamten Schweinebau herum und alle lachten und sprangen umher, dass es eine Freude war, ihnen zuzusehen.
Inmitten des Gewusels klopfte es plötzlich an die schwere Eichentür, die den Eingang zum Schweinebau versperrte. Die Schweinekinder hielten inne und lauschten gespannt. Konnte dies schon Mama-Schwein sein? So früh schon zurück vom Markt? Oder hatte sie nur ihren Regenschirm vergessen? Dicht gedrängt standen sie vor der Tür und pressten die Lederschlappohren an das raue Holz. „Wer ist da?“ fragte der älteste, hellbraune Schweinejunge etwas unsicher.
Draußen stand der Wolf, der Mutter Schwein hatte fortgehen sehen. Er wollte sich die zahlreichen Schweinekinder als Mittagessen schmecken lassen und die Kleinen hereinlegen.
„Ich bin's, eure Frau Mutter. Öffnet schnell die Tür und lasst mich herein!“, rief der listige Wolf mit seiner höchsten Stimme.
Drinnen setzte buntes Gewusel ein. Die kleinen Schweinchen waren aufgeregt und wussten nicht, was sie tun sollten. Einige wollten die Tür sofort öffnen, die anderen erinnerten sich an die Warnung der Mutter und wollten die Tür auf jeden Fall verschlossen halten.
Schließlich drängelte sich ein kleines Schweinemädchen mit einem braunen Fleck auf der Nase nach vorne und fragte laut: „Woher sollen wir wissen, dass du wirklich unsere Mutter bist und nicht der böse Wolf?“.
Der Wolf stutzte. Mit so viel Weitsicht hatte er nicht gerechnet. Er hatte Meerschweinchen immer für recht schlichte Fellbirnen mit wenig Grips gehalten und hatte gedacht, er könne sich sein Mittagessen ohne große Mühe erschleichen.
Er grübelte einen Moment und schwieg. Dann schoss ihm ein Geistesblitz in den Kopf, für den er sich am liebsten selbst den Nobelpreis verliehen hätte. Er fragte die Schweinchen: „Woran erkennt ihr denn eure Mutter? Welchen Beweis muss ich euch erbringen, damit ihr mich hereinlasst?“ Er lachte sich heimlich ins Fäustchen und pries sich selbst für seinen genialen Einfall. So würden sich die kleinen Dumpfbacken selbst ausliefern, konnte er ihnen doch alles mögliche durch die dicke Eichentür vorgaukeln.
„Unsere Mutter bringt uns immer köstliche Leckereien vom Markt mit.“ tönte es von drinnen.
„Nichts leichter als das.“, dachte der Wolf.
„Au ja! Leckeren Löwenzahn!“ hörte er von drinnen eine andere Stimme rufen. Der Wolf lachte heimlich in sich hinein. Solche Tölpel! Verrieten sich selbst.
„Aber natürlich habe ich euch leckeren Löwenzahn mitgebracht, meinen Lieben. Öffnet schnell die Tür, damit ihr ihn kosten könnt.“, rief der Wolf und leckte sich schon über die Lippen, in Vorfreude auf das leckere Mahl.
„Schieb uns lieber erst einmal etwas unter der Tür hindurch, damit wir auch ganz sicher gehen können, dass du unsere Mutter bist“, hörte er eine weitere dünne Schweinestimme von drinnen piepsen.
„So ein misstrauisches Pack“, dachte der Wolf bei sich und grummelte ärgerlich in sich hinein. Er gab sich Mühe, dennoch liebreizend und freundlich zu rufen: „Einen kleinen Augenblick, meine lieben Kindlein, ich schiebe euch gleich ein wenig Löwenzahn unter der Tür hindurch, damit ihr mir sicher vertraut.“
Ärgerlich machte sich der Wolf auf die Suche nach Löwenzahnblättern in der Umgebung. Er schnüffelte im Gras herum und kroch selbst unter den stacheligsten Dornenbusch: Nichts! Nirgends war Löwenzahn zu entdecken. Wie konnte das sein? Hatte die gefräßige Schweinebande etwa im gesamten Umkreis von 5000 m jeglichen Löwenzahn vertilgt? So musste es sein.
In seiner Not fragte der Wolf einen Igel um Rat, der des Weges kam und ließ sich erklären, wo der letzte verfügbare Löwenzahn der Region stand: Inmitten einer von Brennnesseln übersähten Wiese. Na super. Fluchend und fauchend streifte der Wolf durch die Wiese und verbrannte sich alle vier Pfoten auf der Suche nach einigen wenigen Löwenzahnblättchen. Völlig aus der Puste und immer noch fluchend kam er mit seiner Beute am Bau der kleinen Schweinchen an. „Sooo“, flötete der Wolf, „meine lieben Kindlein! Hier ist der leckere Löwenzahn, den ich euch mitgebracht habe. Ich schiebe ihn euch zum Beweis unter der Tür durch. Aber nun macht mir schnell auf, bevor mich noch der böse Wolf erwischt!“.
Von drinnen hörte der Wolf schon seliges Geschmatze und ihm lief ebenfalls das Wasser im Mund zusammen. Er lauschte an der großen Tür und erwartete, jeden Moment das Schaben des großen Riegels zu hören, den die kleinen Schweinchen zurückschoben. Doch nichts geschah.
„Hallooo?“ rief der Wolf. „Wollt ihr mich nicht schnell hineinlassen, meine lieben Kindlein?“
Von drinnen drängelte sich nun ein etwas kleinerer Schweinejunge mit einem schwarzen Fleck im Gesicht an die Tür.
„Aber Mutti“, rief er. „Hast du deine Brille vergessen? Das war gar kein Löwenzahn, den du uns unter der Tür hindurchgeschoben hast. Das war Spitzwegerich. Ich bin mir gar nicht sicher, ob du wirklich unsere Mutter bist. Denn die hat noch niemals Löwenzahn mit Spitzwegerich verwechselt!“.
Ärgerlich schlug sich der Wolf mit einer geballten Pfote vor die eigene Stirn. So ein Mist! Woher sollte er sich als Fleischfresser auch mit dem Scheiß-Grünzeug auskennen? So etwas interessierte einen Wolf nicht die Bohne. Vor Wut wäre er am liebsten geplatzt.
Aber scheinbar ließ ihm diese gefräßige Schweinebande keine andere Wahl, wenn er ein köstliches Mittagessen bekommen wollte. Also schluckte er all seine Wut herunter und säuselte mit seiner liebenswürdigsten Stimme „Ach nein, wie ungeschickt von mir, meine lieben Kindlein. Wie konnte mir das nur entgehen? Wartet einen Augenblick und ich werde euch geschwind den Löwenzahn unter der Tür hineinreichen.“
Der Wolf machte sich ein zweites mal auf die Suche nach Löwenzahn und verfluchte den Igel, der ihm mit keinem Wort erklärt hatte, wie man Löwenzahn und Spitzwegerich unterscheiden konnte. So ein Idiot! Dieses mal würde er jemanden fragen, der Ahnung von Grünzeug hatte. Er lief die Wiesen und Felder entlang und lief schließlich auf einen Hasen zu, der dort im hohen Gras mümmelte.
„Guten Tag Herr Hase“, sagte der Wolf „dürfte ich Sie kurz um Ihren Rat bitten? Ich möchte einem Veganer ein Geschenk machen und bin daher auf der Suche nach leckerem Löwenzahn. Könnt Ihr mir vielleicht verraten, wo ich Löwenzahn finde und wie ich ihn erkenne?“ Der Hase staunte nicht schlecht, dass der Wolf nun offenbar Freundschaften zu Veganern pflegte. Letztlich wollte er sich jedoch nicht in fremde Angelegenheiten einmischen und erklärte dem Wolf anfangs noch etwas skeptisch, nach und nach jedoch mit immer mehr Begeisterung, wo und wie er Löwenzahn finden konnte. Gerade als der Hase ansetzen wollte, die Unterschiede der feinen Farbnuancen von hellgelbgrünen und waldwiesengrünen Löwenzahnblättern und den unterschiedlichen Geschmacksrichtungen von saftigschmatzig über grünleckerig und herbbitterschmatzig weiter auszudifferenzieren, bedankte sich der Wolf überschwänglich und zog sich leicht angenervt zurück.
Der Weg, den ihm der Hase beschrieben hatte, war sehr lang und nicht gerade angenehm. Der hungrige Wolf lief über trockene Felder, über steinige Wege und kroch durch stachelige Dornenbüsche, bis er schließlich keuchend auf einer kleine Wiese mit vielen verschiedenen Kräutern ankam. Er kroch auf der Grasnarbe herum und hielt sich genau an die Beschreibung des Hasen. Mit spitzen Krallen pflückte er ein Löwenzahnblatt nach dem nächsten und er bemerkte, dass er sich sogar ein paar Tipps des Hasen zu besonders leckeren Löwenzahnblättern gemerkt hatte. Er robbte voller Eifer über die Wiese und suchte insbesondere die kleinen, knackigen, hellgrünen Löwenzahnblättchen in der Mitte der Pflanze aus. Kaum wurde ihm dies bewusst, schalt er sich selbst einen Idioten und rupfte schnell noch ein paar große dunkelgrüne – nach Aussage des Hasen nicht ganz so schmatzige – Blätter aus, um einen großen Strauß zu erhalten. Sollte die verlauste Schweinebande doch ersticken an dem Grünzeug! Ihm war schließlich nur daran gelegen, endlich in den verfluchten Schweinebau hinein zu gelangen.
Voll bepackt mit köstlichstem Löwenzahn machte sich der Wolf nach langer, mühsamer Grünzeugsuche schließlich auf den beschwerlichen Rückweg und kam schnaufend und zerzaust beim Schweinebau an. Er schob die ersten Löwenzahnblättchen unter der schweren Holztür hindurch und traute seinen müden, alten Wolfs-Augen kaum, als sich kurz darauf die Tür tatsächlich öffnete. Mit einem Satz sprang der Wolf in die Schweinehöhle hinein und sah sich hektisch um. Überall wuselten kleine Schweinchen wild durcheinander, die sofort erkannt hatten, dass er nicht die Schweinemutti war. Panisch sprangen die kleinen Schweinchen über Tische und Bänke und suchten sich in Windeseile die besten Verstecke. Der hellbraune Schweinejunge huschte in die große Fleece-Röhre. Ein kleines dunkelbraun und weiß getupftes Schweinchen verschwand in Sekundenbruchteilen im Inneren des Heunetzes. Ein wuscheliges, cremefarbenes Schweinemädchen legte sich eine Einstreuflocke auf den Kopf und fühlte sich damit bestens getarnt. Ein ganz besonders kleines dunkelbraun-schwarzes Schweinchen setzte sich in eine dunkle Ecke und kniff einfach beide Kugelaugen ganz fest zu. Ein strubbeliges schwarz-weißes Schweinchen versteckte sich hinter seinem Geschwisterschweinchen. Ein anderes sah der Wolf gerade noch im Erbsenflockenglas abtauchen.
Schnell schnappte sich der Wolf einen großen Stoffsack und stopfte ein Schweinchen nach dem anderen in den dunklen Sack hinein. Anfangs waren die Schweinchen noch recht leicht zu finden, aber nach und nach wurden die Verstecke immer ausgefeilter. Dort im Eierkarton – waren das wirklich nur Eier? Nein, ein schneeweißes Schweinchen hatte sich ganz still als Ei getarnt in dem Karton versteckt. Schnell verschwand auch dieses Schweinchen im dunklen Sack des Wolfes. Und dort in der Keksdose - Das waren doch nicht nur Kekse! Ein dunkelbrauner und besonders dicker Keks war ein kleiner Schweinejunge, den der Wolf gierig in seinen Sack hineinstopfte. Und dort am Pendel der Standuhr – pendelte da tatsächlich ein flauschiges Schweinchen im Sekundentakt hin und her? Ungläubig stopfte der Wolf auch dieses Schwein in seinen großen Sack.
Auch in der Obstschale wurde er fündig. Zwischen Äpfeln, Orangen und Kiwis hatte sich ein kleines wuscheliges mehrfarbiges Schweinchen zusammengerollt. Und eines war tatsächlich mit Schnorchel und Taucherbrille im Trinknapf abgetaucht! So langsam kam der Wolf ins Schwitzen. Erschöpft hielt er einen Moment inne und schaute in seinen großen Stoffsack. Er konnte dort auf dem Boden kaum etwas erkennen, aber eins sah er: Alle Schweinchen waren schon wieder aus seinem Sack geflohen. Hatte diese nagewütige Bande sich etwa freigeknabbert? Der Wolf konnte es einfach nicht glauben. Wie im Wahn durchsuchte er weiterhin den Schweinebau. Dort die Farbrolle – das war doch gar keine Farbrolle, sondern das vorlaute weiße Schweinemädchen mit dem braunen Fleck! Das hatte er doch mindestens schon zwei mal eingesammelt! Die Glühbirne dort in der Stehlampe war auffällig pelzig – auch dort hatte sich ein Schwein festgeklammert. Was baumelte denn dort in der Suppenkelle an der Wand? Das musste doch auch ein Schweinchen sein. Und dieser dicke, strubbelige Schweinejunge dort im Blumentopf mit einem der Löwenzahnblätter in der Hand – sollte das etwa eine Blume sein? Für wie blöd hielt ihn diese verfluchte Saubande eigentlich? Und hatte sich dort tatsächlich ein Schwein mit Pappnase, Brille und Hut getarnt? Das war doch wirklich die absolute Höhe!
Der Wolf war rasend vor Wut und brüllte aus Leibeskräften. Er trommelte sich wie wild auf der Brust herum rannte wie tollwütig durch den Schweinebau – und trat auf den Snackball, den die Schweinekinder mal wieder nicht in die Spielkiste geräumt hatten. Der Wolf drehte sich einmal um die eigene Achse, verdrehte die Augen und schlug längs auf den Boden der Schweinehöhle – nicht, ohne sich die Schläfe am Öttbrett anzuschlagen. Bewusstlos blieb er am Boden liegen.
Kaum hatte der Kopf des Wolfes den Boden berührt, stand Mama Schwein in der Tür und begutachtete erschrocken das Durcheinander in ihrem kleinen Heim. Ihre sieben kleinen Schweinchen, die alle aus ihren Verstecken herausgekrochen kamen, umringten ihre Schweinemutter und erzählten alle gleichzeitig, wie prächtig sie den Wolf verarscht hatten. Gemeinsam schleppten sie ihn vor die Tür des Schweinebaus und fesselten ihn mit vereinten Kräften an einen Baum. Dann gingen Mama Schwein und ihre sieben kleinen Schweinchen zurück in ihren Schweinebau, schoben von innen den großen Riegel vor die Tür und machten sich gemeinsam über den leckeren Löwenzahn her, den der Wolf für sie gepflückt hatte.
Epilog
Schleppend kam der Wolf zu Bewusstsein. Sein Kopf dröhnte und nur mit Mühe konnte er ein Augenlid ein Stück weit öffnen. Schemenhaft erkannte er vor sich eine pelzige Gestalt… mit langen Ohren… Die Sonne stach ihm schmerzhaft in den Augen und nur langsam legte sich das Rauschen in seinen Ohren. Wie aus weiter Ferne hörte er das Gebrabbel des Hasen: „…und je größer die Blätter, um so zackiger ist auch der Rand. Das ist wichtig zu wissen, weil die Zacken sehr viel Geschmack haben. Also viele kleine Zacken können genauso viel Geschmack haben wie wenige große Zacken, aber der allerschmatzigste Löwenzahn ist einfach…“
Und wenn er nicht gestorben ist, dann hört er ihn heute noch quasseln.
Mit dabei:
Fips
als Schweinchen 1, 4 und 8
Muffi
als Schweinchen 2, 3 und 5
Haselani
als labernder Hase und Schweinchen Nummer 6
und
Flummi
als kleines Schweinchen Nummer 7
in weiteren Rollen:
der Plüschhund als Wolf, der Plüschigel von der Tankstelle als Igel, der Pilz auf dem Pflaumenbaumstumpf als Pilz auf dem Pflaumenbaumstumpf.
Weitere Meerchen zum Gruseln und Träumen